Rezension von Bernd Bergmann, 02.04.2002:
Ich habe über Ostern ein Märchen gelesen. Meine Rezension
für alle, die es interessiert:
"Goodwin der Schreckliche" von Sergej Suchinow ist praktisch
die "Nullnummer" und erzählt die Vorgeschichte des
ersten Wolkow-Märchens "Der Zauberer der Smaragdenstadt".
Der Leser kann den Werdegang dieses „Zauberers“ James
Goodwin vom Schauspieler über den Märchenerzähler
und Ballonfahrer bis hin zum großen Schwindler verfolgen,
der die Bewohner des Grünen Landes an der Nase herumführt.
Der Bau der Smaragdenstadt und der Kampf gegen die böse Hexe
Gingema werden geschildert.
Nach dem Lesen der ersten Wolkow-Nachfolgebände von Jurij
Kusnezow konnte man zu dem Schluss kommen, dass ein weitgehend phantasieloser
Nachwuchsautor versuchte, vom Ruhm der Wolkowschen Märchenbücher
zu profitieren. Zu aufgesetzt und gekünstelt wirkten die Geschichten.
Löwe, Scheuch und Eiserner Holzfäller tauchten nur noch
am Rande auf. Die einstigen Helden aus dem Zauberland dienten als
Aufhänger zum Erzählen über die eigenen und ganz
anderen Gestalten.
Die Bände des weiteren Fortsetzungsschreibers Nikolai Bachnow
ließen viele Leser deshalb gleich ganz links liegen, auch
wenn sie wieder im Zauberland spielten und zu den ursprünglichen
Helden zurückkehrten.
Das nunmehrige Erscheinen der "Nullnummer" eines vierten
Autors hinterlässt tatsächlich einige positive Eindrücke.
Vor allem die Zeichnungen des wiederentdeckten Ursprungs-Illustrators
Leonid Wladimirski sind eine Augenweide. Doch auch die Handlung
verfügt über interessante Details und zeugt zumindest
ansatzweise von ähnlicher Phantasie wie der eines Alexander
Wolkow.
Negativ fallen einige Widersprüche auf, die die innere Logik
und Kontinuität der Märchenserie beeinträchtigen.
So macht sich Goodwin zum Beispiel Gedanken darüber, dass die
gute Zauberin Willina das Mädchen Ellie nicht auf die Zauberkraft
der goldenen Schuhe aufmerksam macht, die diese an den Füßen
trägt. Wie man leicht nachlesen kann, schleppte der Hund Toto
diese Schuhe aber erst an, nachdem die Begegnung mit Willina stattfand.
Zum zweiten wurde die böse Zauberin Bastinda von einem fliegenden
Affen zu Goodwin getragen, als dieser die Smaragdenstadt baute.
Die fliegenden Affen erfüllen aber nur drei Wünsche. Den
ersten vergab Bastinda, um Herrscherin über die Käuer
zu werden, den zweiten und dritten erst danach, um Goodwins Armee
und später Ellie und ihre Freunde zu besiegen.
Bei Wolkow sind die meisten der vermeintlichen "Smaragden"
in der Hauptstadt aus einfachem Glas, bei Suchinow dagegen aus farblosem
Kristall von Bäumen aus dem erstmals auftauchenden "Steinernen
Wald".
Natürlich kann man für alle dieser Punkte konstruierte
Erklärungen finden. Vielleicht wollte der Autor auch die Fähigkeiten
seiner kindlichen Leser auf die Probe stellen, noch mehr solcher
Widersprüche zu finden.
Obwohl "Goodwin, der Schreckliche" auch die Begegnung
Goodwins mit Ellie nochmals ausführlich schildert, wird dessen
eigentliche Enttarnung durch Toto überhaupt nicht mehr erwähnt.
Dabei hätte dieses Detail durchaus zur Logik & Moral der
Geschichte gepasst, nämlich Goodwins Läuterung vom geldgierigen
Schwindler zum liebenswerten Menschenfreund. Dabei wurde Goodwin
bei Wolkow konsequent so geschildert, dass er über keinerlei
Zauberkräfte verfügte. Er gaukelte diese lediglich trickreich
vor. Bei Suchinow sammelt er sich wie einstmals Ellie die verschiedensten
Zauberrequisiten zusammen. Was bei Elli die Schuhe, die Pfeife und
der Helm waren, sind bei Goodwin ein auf Befehl auftauchender Berg,
eine lebende Ritterrüstung und ein gigantischer Baum, auf dem
die gelben Backsteine wachsen. Wenn man so will, ist er also kein
richtiger Schwindler mehr.
Was machte die Faszination der Wolkowschen Märchenbücher
aus? Zum einen die Beschränkung auf nur wenige magische Elemente,
die zum Erzählen der Handlung unbedingt notwendig waren und
diese auf spannende Weise vorantrieben. Zum anderen die innere Logik,
die zu allen Zaubereien gehörte. Den zwei guten Feen standen
genau gleich viele böse Hexen gegenüber. Man konnte die
"Fliegenden" Affen nur dreimal herbeirufen. Weil alle
Tiere sprachen, musste auch der Hund Toto sprechen - im Gegensatz
zu den Büchern des ursprünglichen Ideengeber Lyman Frank
Baum. Und so weiter. Bei Wolkows Nachfolgern kann man diese Prinzipien
nur eingeschränkt wiederfinden.
Fans, die auf Vollständigkeit bedacht sind, sollten sich das
neue Buch der Reihe zulegen. Am Schluss wird die Rückkehr Goodwins
ins Zauberland angedroht. Der Verlag wird wissen, warum... |